Das Kernproblem der Verlage: Sie sind zu langsam

Im Sommer 2010 soll der Online-Kiosk deutscher Verlage öffnen – sieben Jahre nach Apples iStore. Der neue Webshop offenbart das Kernproblem deutscher Medienhäuser: Sie reagieren auf Internet-Trends viel zu langsam.

Die Szene war symptomatisch für die Situation in der Medienbranche. „Verlags-Kiosk im Web soll im Sommer starten“, verkündete die Schlagzeile auf der Website des Mediendienstes turi2. Klein daneben eine zweite Nachricht: „iTunes verkauft den zehnmilliardsten Song“. Zehnmilliarden zu Null – eine traurige Bilanz. Sie offenbart das eigentliche Problem der klassischen Verlagslandschaft: Die großen Häuser gehen neue Projekte erst an, wenn Internetfirmen mit solchen Produkten bereits Millionen oder Milliarden verdienen. Also viel zu spät.

Was bitte ist Foursquare?

Ein zweites Beispiel aus dieser Woche, ebenfalls erschienen in turi2. „Wegweiser 3.0: Das Hamburger Start-up lb-lab hat zusammen mit internationalen Investoren loxicon.de gestartet, eine Plattform für ortsbezogene Informationen („Location Based Services“), die zum Auftakt Daten zu über einer Million interessanter Orte bietet – vom nächstgelegenen Arzt bis zur Party-Location.“ Laut turi2 wollen klassische Medienmarken Content einspeisen.

O.k., kann man machen – aber wird das Startup in einem Markt erfolgreich sein, den Dienste wie AroundMe oder MeineStadt schon unter sich aufgeteilt haben? Und warum engagieren sich die Verlage bei einem klassischen Location Based Service (LBS)? Ein Blick zur New York Times hätte genügt, um auf einen anderen Dienst aufmerksam zu werden: auf Foursquare. Eine Art Twitter fürs Lokale. Die NYT kooperiert bereits mit Foursquare, während dieser Dienst deutschen Medienmamagern offenbar noch fremd ist.

Die Liste ließe sich beliebig verlängern – um iApps, iPads, Real Time Web usw. Doch es geht hier nicht um blinde Kritik, sondern um die Frage: Warum hinken deutsche Medienhäuser im Netz stets hinterher? Die Antwort ist erstaunlich einfach. Oder besser: die beiden Antworten.

Grund 1: die starren, hierarchischen Strukturen in deutschen Verlagen. In deren Abteilungen arbeiten zwar viele Experten. Doch deren Ratschläge dringen selten bis zum Vorstand durch. Dafür sorgen die Leiter von Vorzimmern, Abteilungen oder Bereichen. Sie filtern neue Ideen aus unterschiedlichen Motiven. Zum Beispiel weil sie fürchten, einen Fehler zu begehen. Der klassische „Berichtsweg“ ist deshalb nicht nur aus sprachlichen Gründen ein Unwort – sondern auch aus inhaltlichen. Er sollte von Geschäftsführern und Vorständen mit Wonne umgegangen werden, um sich unzensiert zu informieren.

Grund 2: übertriebenes Streben nach Rendite. Erfolgreiche Firmen investieren einen großen Teil ihres Gewinns in neue Produkte. Eine Politik, die der deutschen Medienbranche fremd ist. Nur die Rendite zählt. Das mag in den 80er oder 90er-Jahren richtig gewesen sein. Nicht aber im neuen Jahrtausend. Die Webprodukte der Verlage wirken veraltet verglichen mit den Angeboten von Apple oder Google. Und finden keine Käufer mehr.

Liebe Vorstände und Geschäftsführer, wer im digitalen Zeitalter bestehen will, muss frühzeitig in neue Produkte investieren. Und lieber mit seinen Entwicklern abends ein Bier trinken, als über Excel-Tabellen zu brüten.

Februar 25, 2010

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Kategorie: Medienblog

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