iPad & Co. erfordern neue redaktionelle Strukturen

Als erste große Redaktion will USA Today seinen integrierten Newsroom auflösen – zu Recht, denn die Produktion von Inhalten für Tablet-PC erfordert neue Konzepte.

In den vergangenen Jahren haben viele Redaktionen ihre Newsrooms neu organisiert. Ressortgrenzen wurden eingerissen – zumindest laut Pressemitteilungen der Verlage. An einem zentralen Newsdesks sollten Blattmacher aus allen Ressorts planen und produzieren. Aber was eigentlich genau?

In der Praxis etablierte sich folgender Ablauf. Die Blattmacher produzieren, wie der Name schon sagt, das Blatt. Sie erhalten ihre Texte von Redakteuren, die fürs Blatt schreiben. Die morgens konferieren, mittags recherchieren und abends formulieren.

Onliner im Eckchen

Die Website wird stiefmütterlich behandelt. In manchen Redaktionen wurde ein „Online-Blattmacher“ geschaffen. Schon die Bezeichnung ist ein Widerspruch in sich. Mit Glück sitzt der Onliner bei seinen Kollegen am Newsdesk, oft aber abgeschieden in einer Ecke.

Auf Texte, Bilder und Multimedia-Dateien aus der Print-Redaktion wartet der Onliner meist vergebens. Bei größeren Redaktionen kann er auf ein eigenes Autorenteam zurückgreifen, das die Website mit aktuellen Stoffen füllt. Bei kleineren Redaktionen erledigt der Online-Blattmacher diese Aufgabe selbst.

Online first – nur ein PR-Gag?

In den Pressemitteilungen der Verlage klingt das natürlich etwas anders. Dort ist von „Online first“ die Rede, vom multimedialen Redakteuren, die alle Kanäle bedienen. Ich habe noch keine Redaktion erlebt, die tatsächlich so arbeitet.

USA Today dürfte ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dort wird erwogen, den zentralen Newsdesk wieder aufzulösen (Artikel siehe hier). Die redaktionellen Abläufe bei Zeitungen und Websites sind zu unterschiedlich. Und auch die Leser. Wer sich per iPad informiert, ist rund 15 Jahre jünger als ein Zeitungsleser.

Zeitschiene entscheidet Produktionsablauf

USA Today will 15 „content areas“ schaffen,  jede besetzt mit eigenem Top Editor und General Manager. Eine „content area“ verantwortet inhaltlich und geschäftlich einen Kanal (etwa Telefon, iPad etc.). Ein Modell auch für Deutschland?

Wohl kaum. US-Verlage beschäftigen viel mehr Personal als deutsche Häuser. Das amerikanische System würde hier nicht funktionieren. Aber deutsche Verlage könnten einen eigenen Weg gehen. Wie? Die Produktion der Inhalte sollte sich nicht mehr an den Objekten orientieren sondern am Zeitablauf der unterschiedlich Medien.

Stärken des iPad bleiben ungenutzt

Das bedeutet: Eine Produktion, die sich an der Zeitung oder am Magazin orientiert, ist veraltet. Das iPad ist ein schönes Beispiel dafür. Die Mehrheit der Apps ist nur eine multimedial angehübschte Version des Blatts. Hier noch ein Audio, dort noch ein Video (falls vorhanden). Doch im Zentrum steht immer noch die Zeitung oder die Zeitschrift.

Wie lange noch wird ein analoges Produkt (Zeitung) auf einem digitalen Gerät (iPad) bestehen? Die Aktualität, die ein Tablet -PC ermöglicht, bleibt ungenutzt. Wen interessieren am 2. Januar 2011 die Nachrichten vom 30. Dezember 2010? Wen interessieren heute die Börsenkurse von gestern?

Schicht-System auch für Chefredaktion

Zeitungen und Zeitschriften sind zwar noch immer die Goldader der Verlage. Vielleicht auch noch in zehn oder 20 Jahren. Vielleicht aber auch nicht. Keiner weiß es. Warum also nicht eine Redaktionsstruktur einführen, die die elektronischen Medien stärkt, ohne die Klassischen zu schwächen?

Und so könnte es gehen. Die traditionellen Arbeitszeiten gelten nicht mehr. Es wird ein Zwei-Schichten-System eingeführt. Es gilt für alle Journalisten, die inhaltlich arbeiten – Chefredaktion, Ressortleiter, Redakteure, Reporter.

Spezialisten nur in der Produktion

Die erste Schicht legt um 7 Uhr fest, welche Geschichten zuerst produziert werden müssen. Vermutlich werden es Inhalte für Website und Tablet-PC sein. Die Geschichten werden von den Redakteuren/Reportern erstellt und an Produktionsredakteure gesendet.

Die Produktionsredakteure sind die Spezialisten für einzelne Kanäle wie Zeitung, Website, Telefon, Tablet-PC etc. Sie verwerten die Geschichten, die zugleich in einer zentrale Datenbank landen.

Geschichten für das Blatt neu drehen?

Im Laufes des Tages beginnt die Arbeit an der Zeitung. Chefredaktion und Ressortleiter entscheiden, wie mit den bereits erstellten Geschichten umgegangen wird. Fließen sie 1:1 ins Blatt? Werden sie angedickt? Oder neu gedreht? Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die voraussetzt, dass die leitenden Redakteure multimedial denken und arbeiten können.

Die Produktion geht den ganzen Tag so weiter. Nach der Zeitungsproduktion schiebt die zweite Schicht die wichtigsten Themen des kommenden Tages an. Es wird ein kurzes Protokoll geschrieben, das die Morgenschicht informiert.

Unmöglich? Ich glaube nicht. Wir müssen die alten Strukturen zertrümmern, so bewährt sie auch waren. Lassen Sie uns Wege gehen, die den digitalen Kanälen eine Erfolgsgeschichte ermöglichen. Und Fehler verhindern, wie sie im Web gemacht wurden.

Januar 2, 2011

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Kategorie: Medienblog

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