Streit um Kisch-Preis: Wie seriös ist die „Spiegel“-Masche?

Mit einer „szenischen Rekonstruktion“ hat ein „Spiegel“-Redakteur die hochkarätige Jury des Henri-Nannen-Preises getäuscht. Wie seriös ist dieser journalistische Kunstgriff?

Es ist ein ( kleiner) Medien-Skandal. Am Montag dieser Woche erkannte die Jury des Henri-Nannen-Preises dem „Spiegel“-Redakteur René Pfister eine Auszeichnung ab, die er am Freitag zuvor gerade erhalten hatte: den Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage (siehe hier).

Bei der Preisverleihung hatte Pfister freimütig erzählt, dass er die Einstiegsszene für seine Reportage über den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer nicht selbst erlebt habe. Die Jury des Henri-Nannen-Preises reagierte empört. Nach einemKrisengespäch wurde Herrn Pfister die Auszeichnung aberkannt.

Jury hat richtig gehandelt

Das verärgerte die Macher des „Spiegel“, die sich vor ihren „untadeligen Kollegen“ stellten. In einer Stellungnahme  kritisierten sie: In der Vergangenheit seien öfter Geschichten mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet worden, „die szenische Rekonstruktionen enthielten.“

Wer hat recht? Ich finde: die Jury. Sie hat richtig gehandelt. Ein Reporter soll beschreiben, was er erlebt hat. Nicht, was er gelesen hat. Ich finde, der Streit wirft eine ganz andere Frage auf:  Wie seriös sind „szenische Rekonstruktionen“ im Journalismus?  Also jenes Stilmittel, das die „Spiegel“-Leute so meisterhaft beherrschen. Und das Zyniker zu der Feststellung veranlasst, der „Spiegel“ sei das best geschriebene Archiv der Welt.

Beim Komplott dabei

Beim „Spiegel“ gibt es für diese Technik noch einen anderen Begriff: die „Geschichte anfeaturen“. Und plötzlich denkt der Leser, der „Spiegel“-Reporter sei dabei gewesen. In der Kabinettssitzung. Beim Geheimgespräch. Beim Komplott. Wie in der Werbung: „Spiegel-Leser wissen mehr“.

Für Schriftsteller ist das Featuren ein erlaubter handwerklicher Trick. Aber für Journalisten? Nein. Mit einem Anruf im Archiv und bei Kollegen darf die Recherche für entscheidende Passagen eines Artikels nicht getan sein. Wenn es um Zahlen und Fakten geht – ok.  Aber nicht, wenn Menschen und ihre Motive analysiert werden sollen. Wer solche wichtigen Absätze dem Archiv entnimmt, handelt nicht seriös. Übrigens: Die Fakten aus der umstrittenen Szene kommen einem Artikel aus der Main-Post doch sehr nah – siehe hier).

Selbst Chefredakteure fielen rein

Wie manipulativ der „Spiegel“ das „Featuren“ einsetzt, beweist gerade der Fall Pfister. Fiel doch selbst eine hochkarätige Journalisten-Jury (siehe hier) darauf rein und vergab nichtsahnend den Preis für die beste Reportage…

Mai 10, 2011

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Kategorie: Medienblog

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