Strategisch gesehen: Der große Paywall-Irrtum

Der Rückzug der Springer AG aus den Zeitungs- und Zeitschriftenmärkten lässt den Ruf der Medienbranche nach Paywalls wieder anschwellen. Ein fatales Signal. Denn es zeigt: Die traditionellen Verlage fremdeln noch immer mit den Geschäftsmodellen im Internet.

Warum tun sich unsere Medienhäuser so schwer, Geld mit Websites zu verdienen? Vielleicht hilft ein Blick auf die Geschäftsmodelle von Google und Facebook. Beide bieten ihre Dienste (scheinbar) kostenlos an. Ich kann stundenlang mit Hilfe von Google das Web durchstreifen oder via Facebook meine Freunde kontaktieren.

Was machen Google und Facebook anders?

Beide Firmen kosten diese Dienste Milliarden von Dollar, ohne einen Cent in die Kasse zu spülen – scheinbar. Nach der Logik unserer Paywall-Anhänger müssten Google und Facebook längst pleite sein, statt Unsummen zu verdienen. Was machen Google und Facebook also anders – und erfolgreicher – als unsere Medienhäuser?

Google und Facebook bieten erstklassige Dienste, die Menschen anlocken. Die Firmen haben ERST große Fan-Gemeinschaften gebildet, mit denen sie JETZT Geld verdienen (zum Beispiel durch Werbung). Zur Wiederholung: Entscheidend für deren Erfolg sind „erstklassige Dienste“ sowie „große Fangemeinschaften“. Und hier gehen die wahren Probleme der Verlage schon los …

Die Leistungen der Verlage im Netz sind weit davon entfernt, „erstklassig“ zu sein. Print- und Online-Redaktionen arbeiten meist nebeneinander her, oft sogar gegeneinander. Kraft und Personal werden in die gedruckten Titel gesteckt; die Online-Redaktionen gleichen Anhängseln mit 10 Prozent der Planstellen. Entsprechend ist die journalistische Qualität der Websites.

Sie wollen nicht, sie wollen nicht

Warum das so ist? Weil Verlagsmanager und Chefredakteure sich dem Strukturwandel verschließen. Sie wollen nicht; sie wollen nicht; und sie wollen nicht. Das ist zumindest meine Erfahrung aus mehr als zehn Jahren Beratungsgeschäft. Ich muss das natürlich etwas relativieren. Es existieren Ausnahmen. Aber sie sind ganz, ganz selten – so wie die jetzige Managertruppe bei Springer. Fast immer gilt: Print den Printern, Online den Onlinern. Auch wenn auf  geduldigen Powerpoint-Folien immer von der angeblich integrierten Redaktion gesprochen wird.

Zu dieser Situation tragen die  Journalisten ebenfalls ihr Scherflein bei. Jeder Medientrend wird verdammt. Blogger, Twitterer, Facebook-User – alle unseriös, alles Quatsch. Anstatt sich neugierg-kritisch auf neue Medienformen einzulassen, wird alles verdammt. Ein Chefredakteur einer großen Regionalzeitung formulierte es mir gegenüber so: Wenn er Schulen besucht, sind 95 Prozent der Jungen und Mädchen auf Facebook – aber kaum einer seiner Redakteurinnen oder Redakteure. Beide Gruppen leben in verschiedenen Welten; nicht sehr vorteilhaft, um guten Journalismus zu betreiben.

Websites auch technisch veraltet

Auch technisch laufen die Traditionshäuser den Internetfirmen hinterher. Sind unsere Webseiten so interaktiv wie Facebook? Nein. Liefern sie News, abhängig von meinem Standort? Nein. Berücksichtigen Sie persönliche Interessen des Lesers? Nein. Bei den großen Internetfirmen lauten die Antworten: ja, ja, ja.

Die meisten Webangebote der Verlage sind weder inhaltlich noch technisch erstklassig. Entsprechend fehlen auch große und treue Fangemeinden, die für Anzeigenkunden attraktiv wären. Werben auf Google oder Facebook ist für ein Unternehmen attraktiver.

Erst Wikipedia brachte Erhellendes

Die schlichten Webangebote entlarven die Rufe nach einer Paywall als Irrweg. Warum soll der Kunde dafür zahlen? Warum nur? Vergangene Woche las ich von den Protesten über den Freispruch im Fall Trayvon Martin (Link siehe hier). Vergeblich versuchte ich, auf Spiegel Online, bild.de und stern.de die Hintergründe zu erfahren. Erst auf Wikipedia wurde ich fündig.

Leider kein Einzelfall. Auch die Berichterstattung zum Verkauf der Zeitungen und Zeitschriften von der Springer AG an die Funke-Gruppe ließ beim mir viele Standardfragen offen (zum Beispiel Analystenstimmen zur Höhe des Verkaufsspreises; Größe der beiden Unternehmen nach der Transaktion etc.). Für solche Artikel zahlt kein gebildeter Mensch.

Geld für Sommerinterviews?

Noch ein Aspekt, der in Paywall-Diskussionen gern unter den Tisch fällt. Eine Zeitung oder Zeitschrift zu produzieren ist teuer. Ich meine damit nicht die immer wieder beklagten hohen Kosten für Recherche oder Fotos. Nein, mir geht es um Druck und Vertrieb, die deutlich stärker ins Geld gehen als die Kosten für die Redaktion. In der Digitalwelt entfallen diese Ausgaben. Ein Aspekt, den Verlagsmanager nur ungern erwähnen.

Paywalls sind nur bei einzigartigem Content erfolgreich. Für ein Sommerinterview mit der Kanzlerin oder ihren Herausforderern dürften nicht mal glühende Parteifreunde einen Cent herausrücken. Wohl aber für eine Liste mit den zehn besten Waschmaschinen, die von Stiftung Warentest geprüft wurden – sofern man gerade eine neue benötigt.

Wie viele Paywalls bezahlt der User?

Sie merken, ich halte nicht viel von Paywalls. Ich denke, die Geschäftsmodelle im Netz funktionieren anders. Aber trotzdem: Nehmen wir an, ich irre mich komplett, und Paywalls werden der Renner. Alle funktionieren und die Deutschen sind geradezu begierig, für journalistische Inhalte zu zahlen. Wäre dann die Paywall endlich die Rettung für unsere Verlage? Der große Durchbruch?

Wohl kaum. Die Mehrheit der Leser wäre aus finanziellen Gründen gezwungen, sich für eine Website zu entscheiden. Zum Beispiel für das Online-Angebot des lokalen Verlags. Oder für eine Website mit überregionalen Nachrichten. Oder für einen Magazin-Titel. Oder für eine Website, die über ein Hobby berichtet. Die Menschen würden viel weniger Surfen als jetzt, Webseiten überhaupt nicht mehr besuchen. Die Zahl der Unique User ginge in den Keller – ob sich das rechnet?

Ich würde die Nachrichten bei web.de und noch mehr Blogs lesen – es sei denn, die traditionellen Häuser böten mir tolle Angebote, die ich nur dort erhalten würde. Aber solange das nicht geschieht, sind die Paywalls der Verlage ein einziger großer Irrtum.

Update 1 vom 31. Juli 2013. Die University of Aukland hat gerade eine Studie unter dem Titel „Newspaper Paywalls – The Hype And The Reality“ veröffentlicht (Link hier). Das Fazit: „It can be argued that online news paywalls create additional income for news corporations, but at the current revenue levels they do not offer a viable business model in the short term. Some newspapers have started to lower prices for their online news content and to offer discounted packages in order to enhance their subscription numbers, but in the short term this is most likely to erode their digital revenues.“

Update 2 vom 11. September 2013. turi2 berichtet: „Große Worte, kleine Erkenntnisse: Springer-Chef Mathias Döpfner hatte am Dienstagabend beim Club Hamburger Journalisten einen typischen Auftritt – er servierte salbungsvolle Worte über den journalistischen Auftrag des Springer-Konzerns, verweigerte aber Zahlen zum Erfolg der Paid-Content-Offensive, die Springer im Juni bei Bild.de gestartet hat.“ Warum wohl? Der turi2-Bericht siehe Link.

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