Strategisch gesehen: Was Online-Medien von Amazon lernen können

Was macht Google, Facebook und Amazon so erfolgreich? Sie personalisieren ihre Produkte. Medienhäuser hingegen frustrieren Kunden: Jeder Leser erhält dieselben Nachrichten, selbst wenn er die Website mehrfach besucht. Zeit, dies zu ändern.

Noch immer fremdeln klassische Medienhäuser mit der Online-Welt. Das hohe Tempo und hohe Investitionen in Technik schrecken viele Manager ab. Auch weil der wirtschaftliche Erfolg ungewiss ist, wie der Digitalchef von Les Echos im „Guardian“ vorgerechnet hat (Link siehe hier). Doch ein Punkt wird meiner Meinung nach in der Diskussion völlig unterschätzt. Mit ihren einzigartigen Inhalten könnten Medienhäuser eine große Zukunft in der digitalen Welt haben. Auch finanziell. Sie müssten nur eins lernen: endlich die Wünsche ihrer Leser zu akzeptieren und zu erfüllen. Endlich Abschied zu nehmen von einem Journalismus, der jedem Leser dasselbe Angebot offeriert. Wer den individuellen Kunden in den Mittelpunkt stellt, hat fast zwangsläufig Erfolg. Google, Facebook und Amazon machen es vor.

Doch was können Medienhäuser unternehmen, um das Geschäftsprinzip der großen Internetfirmen auf ihr Gewerbe zu übertragen? Sie sollten Antworten auf die folgenden drei Fragen finden und anschließend redaktionell, technisch und kaufmännisch umsetzen.

1. Warum erhält ein Leser nicht eine individuelle Startseite?

Ich liebe Sport – wenn ich ihn selbst ausübe. Als Zuschauer öden mich viele Sportarten an. Doch als Leser von spon.de, welt.de oder focus.de kann ich weder der Bundesliga noch den Skirennen entgehen. Eben so wenig wie den „Tatort“-Kritiken oder der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten. Dafür würde ich gern mehr über exotische Sportarten, Theater und internationale Verteidigungspolitik lesen. Alles leider Randthemen, die es selten auf eine Startseite schaffen. Sie bringen zu wenig Klicks, so die Logik der Online-Macher.

Amazon ist  in diesem Punkt schon einen Schritt weiter. Wer dort einkauft oder sucht, erhält beim nächsten Besuch Vorschläge für ähnliche Produkte. Im Laufe der Zeit entsteht so ein individueller Newsfeed, der auf den Besucher zugeschnitten ist. Auch Google und Facebook bemühen sich, ihren Besuchern nur Inhalte zu zeigen, die sie auch interessieren. Bei Facebook fließen rund 100.000 Faktoren ein (Link siehe hier).

Die Internetfirmen haben dafür Algorithmen entwickelt. Sie funktionieren mal besser und mal schlechter. Auch werfen diese Algorithmen neue, ethische Fragen auf (Stichwort: Zensur). Doch letztlich führt kein Weg an ihnen mehr vorbei. Auch im Journalismus nicht. Wir müssen uns nur fragen, wie wir sie geschickt und zum Wohle des Lesers einsetzen. Um wie viel attraktiver (und finanziell erfolgreicher) wären Nachrichtensites, die die individuellen Interessen der Leser berücksichtigten? Auch Anzeigenkunden lieben solche Seiten.

„Bild“ experimentiert inzwischen mit personalisierten Nachrichten. Die App „Bild Buzz“ schickt Nachrichten aufs Handy, die man wegwischen oder lesen kann. Mit jedem Wisch lernt die App, welche Inhalte den Leser interessieren – und welche nicht (Link siehe hier). Ein spannendes Projekt.

2. Warum werden Artikel, die ich schon gelesen habe, nicht aussortiert?

Sie kennen das sicherlich. Man liest in der Mittagspause mehrere Artikel auf einer Website. Bei einem weiteren Besuch einige Stunden später werden mir die bereits gelesen Artikel noch immer angeboten. Statt neuer, frischer Geschichten, die ich noch nicht kenne. Was für eine vertane Chance für den Verlag, mehr Klicks und längere Lesezeiten zu genieren. Schlicht rausgeworfenes Geld.

Zwar könnte man jetzt argumentieren, dass viele Leser via Google oder Facebook auf die Artikel einer Nachrichtenseite gelangen. Doch das eine schließt das andere nicht aus. Der wirtschaftliche Erfolg von Spiegel Online beruht auf deren Homepage. Anzeigenkunden zahlen hohe Summen, um dort ihre Werbung platzieren zu können. Denn viele Leser gehen direkt auf spon.de, um sich zu informieren. Ich glaube nicht, dass die Startseite immer unwichtiger wird, wie einige Experten behaupten. Ich glaube aber, dass auch sie künftig individualisiert werden muss, um den Wünschen der Leser gerecht zu werden.

3. Warum informieren Nachrichtenseiten nur sporadisch?

Erinnern Sie sich noch an die Foltervorwürfe gegen die Regierung Bush? Die Medien stürzten sich auf das Thema. Nur: Drei Tage später war die Geschichte „durch“, wie es in unserem Gewerbe so schön heißt. Doch sind solche Themen tatsächlich „durch“? Oder folgen wir nur überkommenen Regeln? Mich ärgert es, wenn wichtige und interessante Geschichten nur noch eine Halbwertszeit von Tagen besitzen. Ich möchte wissen, wie es weitergeht – im übrigen ein Prinzip, auf dem Fernsehserien beruhen.

Zwar bieten mir einige Webseiten einen Button an, über den es möglich ist, einem Thema zu folgen. Aber was bringt das, wenn hinter dem Button keine Geschichten auftauchen? Wie auch immer: Ich möchte bei einigen Geschichten wissen, wie es weiter geht. Und es wäre schön, wenn die Medienindustrie eine Lösung fände.

Fazit: Wir benötigen kluge Algorithmen, um unsere Leser besser und individueller zu informieren. Das kostet Geld, ist aber eine Investition, die mir viel, viel wichtiger erscheint, als der Zeitung oder Zeitschriften ein neues Layout zu verpassen. Ich glaube, klassische Medienhäuser können in der digitalen Welt bestehen. Aber sie müssen endlich innovativ werden.

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